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BGH zum Umfang der Pressefreiheit – Videoaufnahmen aus Bio Hühnerställen

Kategorien: Medienrecht, News

Der für Presserecht zuständige VI. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass die Veröffentlichung von heimlich in einem Hühnerstall gedrehten Videos im Zuge der Berichterstattung über Zustände in der Tierhaltung auch dann von der Pressefreiheit gedeckt ist, wenn sich die dokumentierten Zustände in einem rechtlich zulässigen Rahmen bewegen. Der BGH hat mit seiner Entscheidung die Rolle der Presse als „Wachhund der Öffentlichkeit“ bestätigt.

Der Erzeugerzusammenschluss Fürstenhof GmbH hatte den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) wegen der Verbreitung der Filmaufnahmen über die Zustände in zwei seiner Mitgliedsunternehmen verklagt.

Die von einem Tierschutzaktivisten heimlich in den Hühnerställen der Unternehmen gedrehten Videos waren dem MDR von dem Tierschutzaktivisten überlassen wurden. Die Videos wurden als Teil von Filmbeiträgen in der Reihe ARD Exklusiv unter dem Titel „Wie billig kann Bio sein?“ und im Rahmen der Sendung „FAKT“ unter dem Titel „Biologische Tierhaltung und ihre Schattenseiten“ ausgestrahlt worden. Die Videoaufnahmen zeigten u.a. Hühner mit unvollständigem Federkleid und tote Hühner. Die Beiträge befassten sich u.a. mit den Auswirkungen, die die Aufnahme von Bio-Erzeugnissen in das Sortiment der Supermärkte und Discounter zur Folge hat, und warfen die Frage auf, wie preisgünstig Bio-Erzeugnisse sein können.

Das Landgericht Hamburg hatte den MDR antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, im Einzelnen näher bezeichnete Bildaufnahmen zu verbreiten, die verpackte Waren, tote Hühner oder solche, die ein unvollständiges Federkleid haben, eine umzäunte Auslauffläche und die Innenaufnahme eines Hühnerstalls zeigen. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG Hamburg) keinen Erfolg. Der BGH hat die Entscheidungen des Landgerichts und der Oberlandesgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung des BGH

Die Verbreitung der Filmaufnahmen verletze weder das Unternehmerpersönlichkeitsrecht der Klägerin noch ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zwar seien die Filmaufnahmen – die eine Massentierhaltung dokumentieren und tote oder nur mit unvollständigem Federkleid versehene Hühner zeigen – geeignet, das Ansehen und den wirtschaftlichen Ruf der Klägerin in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Der Senat sei auch davon ausgegangen, dass die Ausstrahlung der nicht genehmigten Filmaufnahmen das Interesse der Klägerin berühre, ihre innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Diese Beeinträchtigungen wären aber nicht rechtswidrig. Das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit überwögen das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs und ihre unternehmensbezogenen Interessen. Dies gelte trotz des Umstands, dass die veröffentlichten Filmaufnahmen durch den Tierschützer rechtswidrig hergestellt worden waren. Die Beklagte hatte sich an dem vom Tierschützer begangenen Hausfriedensbruch nicht beteiligt. Mit den beanstandeten Aufnahmen würden keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse der Klägerin offenbart. Die Aufnahmen dokumentierten vielmehr die Art der Hühnerhaltung durch dem Erzeugerzusammenschluss angehörige Betriebe; an einer näheren Information über diese Umstände habe die Öffentlichkeit grundsätzlich ein berechtigtes Interesse. Die Filmaufnahmen informierten den Zuschauer zutreffend. Sie transportierten keine unwahren Tatsachenbehauptungen, sondern gäben die tatsächlichen Verhältnisse in den beiden Ställen zutreffend wieder. Mit der Ausstrahlung der Filmaufnahmen habe die Beklagte einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geleistet. Die Filmberichterstattung setze sich unter den Gesichtspunkten der Verbraucherinformation und der Tierhaltung kritisch mit der Massenproduktion von Bio-Erzeugnissen auseinander und zeige die Diskrepanz zwischen den nach Vorstellung vieler Verbraucher gegebenen, von Erzeugern oder Erzeugerzusammenschlüssen wie der Klägerin herausgestellten hohen ethischen Produktionsstandards einerseits und den tatsächlichen Produktionsumständen andererseits auf. Es entspreche der Aufgabe der Presse als „Wachhund der Öffentlichkeit“, sich mit diesen Gesichtspunkten zu befassen und die Öffentlichkeit zu informieren. Die Funktion der Presse sei nicht auf die Aufdeckung von Straftaten oder Rechtsbrüchen beschränkt.

BGH, Urteil vom 10.04.2018 (Az. VI ZR 396/16 – „Bio Hühnerställe“)

Anmerkung: Das Urteil des BGH ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen, weil die Videoaufnahmen von dem Tierschützer auf rechtswidrige Weise, unter Begehung eines immerhin strafbaren Hausfriedensbruchs durch das nächtliche Eindringen in die Hühnerställe, gefertigt wurden. Zum anderen, weil die durch die Videoaufnahmen dokumentierten Zustände in den Hühnerställen gesetzeskonform waren, darin also keine Form verbotener Tierhaltung gezeigt wurde. Im Ergebnis vermag die Entscheidung des BGH aus pragmatischen Gründen zu überzeugen, da eine Berichterstattung über die tatsächlichen Umstände bei der Herstellung von Produkten kaum möglich wäre und daher die Pressefreiheit stark einschränken würde, wenn die Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung von einer Genehmigung des Herstellers abhängig wäre. Die Entscheidung des BGH ist aber auch nicht als Freibrief für die Presse zu verstehen, illegal gefertigtes Videomaterial zu verwenden. Presseorgane werden auch zukünftig abwägen müssen, inwieweit die Verwendung solchen Materials unter Berücksichtigung der Interessen des Betroffenen rechtlich zulässig ist.

BGH zu Bonusaktionen bei der Nutzung von Smartphone-Apps – mytaxi

In einem aktuellen Urteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Bonusaktionen bei der Vermittlung von Taxi-Dienstleistungen bei der Nutzung von Smartphone-Apps – in diesem Fall der App mytaxi – nicht gegen die tarifliche Preisbindung für Taxiunternehmer verstoßen.

Die Klägerin des Rechtstreits ist ein genossenschaftlicher Zusammenschluss von Taxizentralen in Deutschland, der die Taxi-Bestell-App „Taxi Deutschland“ betreibt. Die Beklagte vermittelt Taxi-Dienstleistungen über die Smartphone-App mytaxi.

Streitgegenständlich waren vier Bonusaktionen von mytaxi, bei denen registrierte Nutzer lediglich die Hälfte des regulären Fahrpreises zu zahlen hatten. Die andere Hälfte des Fahrpreises erhielt der Taxifahrer abzüglich Vermittlungsgebühren von der Beklagten.

Der BGH hat damit die anderslautenden Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main aufgehoben. Das Landgericht hatte der Klage noch stattgegeben und die dagegen beim Oberlandesgericht eingelegte Berufung hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat entschieden, dass die Bonusaktionen von mytaxi nicht gegen die tarifliche Preisbindung für Taxiunternehmer verstoßen. Der Anbieter der App mytaxi selbst sei kein Taxiunternehmer, für den die Festpreise gelten würden. Die Tätigkeit von mytaxi beschränke sich auf die Vermittlung von Fahraufträgen, die von unabhängigen Taxiunternehmen selbständig durchgeführt werden. Diese Taxiunternehmen könnten uneingeschränkt die Dienste anderer Vermittler, wie etwa der Klägerin, in Anspruch nehmen.

Der Anbieter von mytaxi hafte auch nicht als Anstifter oder Gehilfe für Wettbewerbsverstöße der die Vermittlungsleistungen in Anspruch nehmenden Taxiunternehmer. Die Beteiligung der Taxiunternehmer an den Bonusaktionen sei mit dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) vereinbar.

Die im PBefG enthaltenen Bestimmungen zur Tarifpflicht im Taxiverkehr wären zwar Marktverhaltensregelungen im wettbewerbsrechtlichen Sinne und der Taxiunternehmer dürfe daher keinen Nachlass auf die tariflichen Festpreise gewähren. Werde der Festpreis vollständig an ihn gezahlt, liege jedoch kein Verstoß gegen die Tarifpflicht vor. Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen die Tarifpflicht komme es daher darauf an, ob das Vermögen des Taxiunternehmers nach Beförderung des Fahrgastes in Höhe des Festpreises vermehrt werde. Wie der Fahrgast das Entgelt finanziere, sei ohne Bedeutung. Bei den Aktionen von mytaxi erhielten die Taxiunternehmen den vollen tariflichen Festpreis. Soweit mytaxi dabei eine Provision von 7% des Fahrpreises abziehe, handele es sich um eine zulässige Vergütung der Vermittlungsleistung.

Auch Sinn und Zweck der Tarifpflicht des Taxiunternehmers würden kein anderes Ergebnis gebieten. Die Funktionsfähigkeit des Taxiverkehrs werde durch die beanstandeten Werbeaktionen von mytaxi nicht beeinträchtigt. Solange den Taxiunternehmen ausreichende Vermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, bestehe kein Grund, den Wettbewerb im Bereich der Taxivermittlung im Interesse der Funktionsfähigkeit des Taxiverkehrs einzuschränken.

Auch eine unzulässige gezielte Behinderung der Klägerin durch mytaxi liege nicht vor. Die nicht kostendeckende Erbringung einer Dienstleistung sei nur unter bestimmten Voraussetzungen verboten, und zwar insbesondere dann, wenn sie zur Verdrängung von Mitbewerbern geeignet wäre und in Verdrängungsabsicht erfolge. Es fehle jedoch eine Eignung zur Verdrängung, weil die Aktionen von mytaxi sowohl räumlich auf mehrere deutsche Großstädte als auch zeitlich beschränkt waren.

BGH, Urteil vom 29.03.2018 (Az. I ZR 34/17 – „My Taxi“)

Anmerkung: In seiner Entscheidung ist der BGH einer allzu restriktiven Anwendung wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen entgegen getreten. Taxigutscheine waren auch zuvor bereits grundsätzlich zulässig und auch weit verbreitet und es ist daher nicht ersichtlich, weshalb das bei Nutzung einer Smartphone-App anders sein sollte. Es ist jedenfalls nicht Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften des Personenbeförderungsgesetz (PBefG), den Preiswettbewerb gegenüber den Taxizentralen zu unterbinden, sondern dieses soll vielmehr den Taxiunternehmen einheitliche Vergütungen für dieselben Dienstleistungen garantieren. Dies wird aber schon deshalb sichergestellt, weil mytaxi über das eigene Abrechnungssystem den angeschlossenen Taxifahrern Vergütungen gewährt, die dem amtlich festgesetzten Taxitarif entsprechen.

BGH zur Spitzenstellungswerbung – Wettbewerbsrecht

Kategorien: News, Wettbewerbsrecht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Spitzenstellungswerbung dann vorliegen kann, wenn ein Anbieter ein neues Produkt unter Hinweis auf die in der Vergangenheit mit einem anderen Produkt erworbene Marktführerschaft bewirbt. Denn das Verschweigen dieses Umstands sei im Regelfall geeignet, eine unrichtige Vorstellung über die Leistungsfähigkeit des Anbieters hervorzurufen und damit die Entschließung des Publikums über den Erwerb des beworbenen Nachfolgeprodukts im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG in unlauterer Weise zu beeinflussen.

Die Klägerin in dem vom BGH entschiedenen Fall stellt Knochenzemente her. Die Beklagte vertrieb, neben anderen Medizinprodukten, bis September 2005 die Knochenzemente der Klägerin. Ende August 2005 stellte die Klägerin die Belieferung der Beklagten ein und vertrieb ihre Knochenzemente nunmehr selbst. Die Beklagte brachte daraufhin im Jahr 2005 eigene Knochenzemente heraus und vertrieb diese ebenfalls selbst. Bis zur Einstellung dieses Vertriebs im August 2014 war die Beklagte Marktführerin im Bereich von Knochenzementen. Die Einstellung des Vertriebs der Knochenzemente beruhte darauf, dass die Klägerin die Beklagte und andere Unternehmen im Hinblick auf diese Knochenzemente erfolgreich wegen der Verletzung von Betriebsgeheimnissen gerichtlich in Anspruch genommen hatte. Seit Oktober 2014 vertrieb die Beklagte unter einer anderen Bezeichnung Knochenzemente, die von einer anderen Firma hergestellt werden. Zur Bewerbung der nunmehr von ihr vertriebenen Knochenzemente bewarb die Beklagte diese in einer im Internet veröffentlichten Pressemitteilung mit der Überschrift „Zurück an die Spitze“ und unter Verweis auf ihre bis August 2014 bestehende Stellung als Marktführerin im Bereich von Knochenzementen.

Die Klägerin wandte sich daraufhin mit einer Klage gegen die Verwendung der Angabe „Zurück an die Spitze“ in der Überschrift der Pressemitteilung und die Behauptung, die Beklagte sei bis August 2014 Marktführer im Bereich Knochenzemente gewesen. Die Klägerin machte insoweit geltend, diese Angaben seien irreführend gemäß §§ 5, 5a UWG. Die Beklagte sei im August 2014 zwar Marktführerin in dem Segment gewesen, habe die beworbene Marktführerstellung aber deshalb innegehabt, weil sie rechtswidrig anvertraute Betriebsgeheimnisse der Klägerin unbefugt verwendet habe. Diese für den angesprochenen Verkehrskreis wesentliche Information hätte die Beklagte in ihrer Internetwerbung verschwiegen. Die beanstandete Werbung mit der rechtswidrig erlangten Marktführereigenschaft stelle zudem eine nach der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG unzulässige Fruchtziehung aus vorangegangenem wettbewerbswidrigem Tun dar.

Die Klage war vom Landgericht Frankfurt abgewiesen worden und die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ebenfalls ohne Erfolg geblieben.

Der BGH vereinte in seinem Urteil zwar ebenfalls einen Anspruch der Klägerin auf der Grundlage einer wettbewerbswidrigen Verwendung der Betriebsgeheimnisse der Klägerin durch die Beklagte, gab der Klage aber unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbswidrigkeit der Bewerbung eines neuen Produktes unter Hinweis auf eine in der Vergangenheit mit einem anderen Produkt erworbene Marktführerschaft statt.

Nach der Auffassung des BGH war das Verschweigen der Tatsache, dass die Marktführereigenschaft durch die unbefugte und rechtwidrige Verwendung von Betriebsgeheimnissen erlangt worden war, deshalb nicht wettbewerbswidrig, weil damit keine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise verbunden war. Dazu hat der BGH ausgeführt, dass der Verkehr mit der Behauptung einer Spitzenstellung regelmäßig die Erwartung verbinde, dass der Anbieter in der Lage ist, nach den maßgeblichen Kriterien von Qualität, Service und Preis für den Käufer besonders attraktive Produkte anzubieten. Dass das Unternehmen eine in der Werbung herausgestellte Spitzenstellung nicht (allein) durch eigene Leistung bei der Entwicklung oder dem Vertrieb eines besonders wettbewerbsfähigen Produkts, sondern unter Verletzung von Betriebsgeheimnissen eines Wettbewerbers erreicht habe, stelle der Verkehr erfahrungsgemäß aber nicht in Rechnung.

Der BGH bejahte aber den Unterlassungsanspruch damit, dass die beanstandeten Behauptungen einer Spitzenstellung nicht allein Bedeutung für das konkret beworbene Produkt hätten, sondern nach der Lebenserfahrung auch eine Aussage zu der Leistungsfähigkeit des werbenden Unternehmens selbst treffen würden. Vor diesem Hintergrund würden die angesprochenen Verkehrskreise den angegriffenen Angaben nach ihrem Wortsinn die Aussage entnehmen, die Beklagte sei in der Vergangenheit derart leistungsfähig gewesen, dass sie die Marktführerschaft und die Spitzenstellung auf dem Markt der Knochenzemente habe erlangen können. Aus den Angaben ergebe sich für den Verkehr weiter, dass die Beklagte aufgrund ihrer fortbestehenden Leistungsfähigkeit in der Lage sei, auch mit ihrem neuen Produkt eine entsprechende Spitzenstellung zu erreichen. Die mit der Behauptung einer Spitzenstellung einhergehende Aussage zur besonderen Leistungsfähigkeit des Unternehmens sei für den potentiellen Käufer von besonderer Bedeutung für seine geschäftliche Entscheidung. Mit der Werbung mit einer Spitzenstellung verbinde der Verkehr regelmäßig die Erwartung, der Anbieter sei in der Lage, nach den maßgeblichen Kriterien von Qualität, Service und Preis für den Käufer besonders attraktive Produkte anzubieten. Dass das Unternehmen eine in der Werbung herausgestellte Spitzenstellung nicht (allein) durch eigene Leistung bei der Entwicklung eines besonders wettbewerbsfähigen Produkts, sondern unter Verletzung von Betriebsgeheimnissen eines Wettbewerbers erreicht hat, stelle der Verkehr erfahrungsgemäß nicht in Rechnung. Bewerbe der Anbieter ein neues Produkt unter Hinweis auf die in der Vergangenheit mit einem anderen Produkt erworbene Marktführerschaft, sei das Verschweigen dieses Umstands deshalb im Regelfall geeignet, eine unrichtige Vorstellung über die Leistungsfähigkeit des Anbieters hervorzurufen und damit die Entschließung des Publikums über den Erwerb des beworbenen Nachfolgeprodukts im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG in unlauterer Weise zu beeinflussen.

BGH, Urteil vom 16.11.2017 (Az. I ZR 160/16 – „Knochenzement II“)

Anmerkung: Die Entscheidung des BGH ist vor allem deshalb von Interesse, weil darin eine Abgrenzung der unterschiedlichen wettbewerbsrechtlichen Anspruchsgrundlagen der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG und dem Tatbestand der Irreführung durch Unterlassen gemäß § 5a Abs. 1 UWG vorgenommen wird.

Der BGH hat in seiner Entscheidung betont, dass Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG wäre, dass von einem wettbewerbsrechtlich angegriffenen Verhalten eine unmittelbare Störung des lauteren Wettbewerbs ausgeht oder sonst ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem unlauteren Vorgehen und der als Fruchtziehung beanstandeten Handlung besteht. Begründet hat er das damit, dass das Kriterium der Unmittelbarkeit erforderlich wäre, um zu verhindern, dass Verhaltensweisen dem Verbot der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG unterworfen werden, die für sich genommen mit den Grundsätzen des lauteren Wettbewerbs im Einklang stehen. Damit hat der BGH erneut deutlich gemacht, dass die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG keine Auffangklausel für nicht anders unter die wettbewerbsrechtlichen Normen zu fassenden Sachverhalte sein soll. Die vom BGH bejahte Anwendbarkeit des § 5a Abs. 1 UWG ist hingegen ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass es wettbewerbsrechtlich zu beanstanden sein kann, sich insbesondere bei einer Spitzenstellungswerbung mit „fremden Federn“ zu schmücken.

BGH zur Haftung als Mittäter beim Filesharing – Konferenz der Tiere

Kategorien: News, Urheberrecht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Teilnehmer einer Internettauschbörse, die bei so genanntem Filesharing Dateifragmente eines urheberrechtlich geschützten Werkes in der Tauschbörse zum Herunterladen anbieten, das dort zum Herunterladen bereit gehalten wird, regelmäßig als Mittäter einer gemeinschaftlich mit den anderen Nutzern der Internettauschbörse begangenen Verletzung des Rechts zur öffentlichen Zugänglichmachung des Werks haften.

Die Klägerin in dem vom BGH entschiedenen Rechtstreit war Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an dem Film „Konferenz der Tiere 3 D“. Der Beklagte hatte zuvor über seinen Internetanschluss dem Film zuzuordnende Datenpakete über eine Internettauschbörse zum Herunterladen angeboten. Die auf Schadenersatz und Abmahnkosten gerichtete Klage war in der ersten Instanz abgewiesen worden und auch in der Berufung ohne Erfolg geblieben, da sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht ergeben hätte, dass über den Internetanschluss des Beklagten eine lauffähige Version des Films oder eines Teils davon zum Herunterladen angeboten worden sei. Dies sei für die Geltendmachung von urheber- und leistungsschutzrechtlichen Ansprüchen aber erforderlich, da eine nur teilweise zur Verfügung gestellte Datei regelmäßig nicht lauffähig und konsumierbar sei, weshalb es sich nicht um eine Nutzung des geschützten Werks oder seiner Teile handele, sondern lediglich um „Datenmüll“.

Nach Auffassung des BGH konnte eine Haftung des Beklagten im Streitfall nicht verneint werden, weil der Beklagte als Mittäter einer gemeinschaftlich mit den anderen Nutzern der Internettauschbörse begangenen Verletzung des Leistungsschutzrechts der Klägerin zur öffentlichen Zugänglichmachung des Films „Konferenz der Tiere 3 D“ oder urheberrechtsschutzfähiger Teile hiervon hafte. Die Frage, ob sich jemand als Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in einer seine zivilrechtliche Haftung begründenden Weise an einer deliktischen Handlung beteiligt hat, beurteile sich nach den im Strafrecht entwickelten Grundsätzen. Täter ist danach, wer die Zuwiderhandlung selbst oder in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft (vgl. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB) erfordert eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken.

Der objektive Tatbeitrag des einzelnen Teilnehmers an einer Internettauschbörse liege in der Bereitstellung von Dateifragmenten, die gemeinsam mit weiteren von anderen Teilnehmern der Tauschbörse bereitgestellten Dateifragmenten auf dem Computer des herunterladenden Nutzers zur Gesamtdatei zusammengefügt werden können. Das Filesharing über sogenannte Peer-to-Peer-Netzwerke (P2P Netzwerke) diene der Erlangung und Bereitstellung funktionsfähiger Dateien. Jeder Teilnehmer eröffne anderen Teilnehmern des Netzwerks die Möglichkeit, von ihm heruntergeladene Dateien oder Dateifragmente ihrerseits von seinem Computer herunterzuladen; der Download gehe also mit dem Angebot zum Upload einher. Typischerweise beziehe ein Teilnehmer, der eine Datei herunterlädt, Dateifragmente von vielen verschiedenen Teilnehmern. Jedes Dateifragment lasse sich anhand des sogenannten Hashwerts als zu einer bestimmten Gesamtdatei zugehörig identifizieren und habe eine Nummer, die seine Position in der Ursprungsdatei kennzeichne. Die zum Herunterladen bereitgestellten Dateifragmente seien somit kein „Datenmüll“, sondern individuell adressierte Datenpakete, die auf dem Computer des herunterladenden Nutzers zur Gesamtdatei zusammengefügt werden können. Aus der Funktionsweise des P2P Netzwerks als arbeitsteiliges System folge zugleich, dass den Tatbeiträgen der Teilnehmer eine kumulative Wirkung zukomme und die Gesamtheit der im Netzwerk verfügbaren Dateifragmente eine funktionsfähige Kopie der Ursprungsdatei ergebe. Mangels gegenteiliger Feststellungen sei zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass im zeitlichen Zusammenhang mit dem vom Internetanschluss des Beklagten vorgenommenen Angebot zum Herunterladen über die Tauschbörse eine vollständige Version des Films „Konferenz der Tiere 3 D“ oder eines urheberrechtsschutzfähigen Teils hiervon zum Herunterladen angeboten worden sei.

Das Bereitstellen von Dateien oder Dateifragmenten über ein P2P Netzwerk erfolge regelmäßig im Rahmen eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens der Teilnehmer. Dem stehe nicht entgegen, dass die Teilnehmer der Tauschbörsen anonym bleiben und nicht untereinander kommunizieren, denn Mittäterschaft kommt auch in Betracht, wenn die Beteiligten einander nicht kennen, sofern sich jeder bewusst ist, dass andere mitwirken und alle im bewussten und gewollten Zusammenwirken handeln. Die Funktionsweise von Internettauschbörsen sei deren Teilnehmern regelmäßig jedenfalls insofern geläufig, als sie sich im Klaren darüber sind, nicht nur Dateien oder Dateifragmente von den Computern anderer Teilnehmer auf ihren Computer herunterzuladen, sondern zugleich im Netzwerkverbund anderen Nutzern das Herunterladen von Dateien oder Dateifragmenten zu ermöglichen, um eine funktionsfähige Gesamtdatei zu erhalten. Auch wenn es an technischem Spezialwissen fehlt, sei den Teilnehmern einer Internettauschbörse regelmäßig bewusst, dass sie auf diese Weise im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit anderen Teilnehmern des Netzwerks das Herunterladen vollständiger und funktionsfähiger Dateien ermöglichen. Sie wirkten daher bei der öffentlichen Zugänglichmachung der Dateien mit den anderen Teilnehmern der Tauschbörse bewusst und gewollt zusammen. Dass es dem Teilnehmer einer Internettauschbörse in erster Linie darauf ankommen könne, selbst in den Genuss der heruntergeladenen Dateien zu gelangen, stehe der Annahme vorsätzlichen Zusammenwirkens mit den anderen Teilnehmern nicht entgegen. Wisse er, dass im Rahmen der arbeitsteiligen Funktionsweise der Tauschbörse die Bereitstellung der von ihm heruntergeladenen Dateien oder Dateifragmente im Netzwerk eine notwendige Begleiterscheinung des Herunterladens auf den eigenen Computer ist, so nehme er diese Folge seines Handelns mindestens billigend in Kauf. Dies reiche für die Annahme von Mittäterschaft aus

BGH, Urteil vom 06.12.2017 (Az. I ZR 186/16 – „Konferenz der Tiere“)

Anmerkung: Mit seiner Entscheidung hat der BGH einer auf technische Gründe basierten Rechtsverteidigung eine deutliche Absage erteilt, indem er die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Nutzer von Tauschbörsen als Mittäter an einer von mehreren gemeinschaftlich begangenen Urheberrechtsverletzung bejaht hat. Dieser rechtliche Ansatz ist nicht ganz neu und wurde vom BGH auch bereits in anderen Filesharing Fällen verfolgt. Interessant daran ist allerdings, dass der BGH davon ausgeht, dass inzwischen jedem bekannt sei, wie Filesharing prinzipiell funktioniere und der Nutzer der Tauschbörse dies deshalb auch gewusst haben müsste. Ob sich diese Annahme allgemein auf Filesharing Fälle übertragen lassen wird, erscheint in praktischer Hinsicht allerdings zweifelhaft, da man auch nach der Entscheidung des BGH nicht bei jedem Nutzer automatisch davon ausgehen können dürfte, dass er tatsächlich über entsprechende Kenntnisse über die Funktionsweise von P2P Netzwerken verfügt. Absehbar dürfte aber sein, dass sich damit die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zuungunsten von wegen urheberrechtswidrigen Filesharings in Anspruch genommenen Nutzern von P2P Netzwerken erhöhen werden.