BGH zur Haftung als Mittäter beim Filesharing – Konferenz der Tiere
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Teilnehmer einer Internettauschbörse, die bei so genanntem Filesharing Dateifragmente eines urheberrechtlich geschützten Werkes in der Tauschbörse zum Herunterladen anbieten, das dort zum Herunterladen bereit gehalten wird, regelmäßig als Mittäter einer gemeinschaftlich mit den anderen Nutzern der Internettauschbörse begangenen Verletzung des Rechts zur öffentlichen Zugänglichmachung des Werks haften.
Die Klägerin in dem vom BGH entschiedenen Rechtstreit war Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an dem Film „Konferenz der Tiere 3 D“. Der Beklagte hatte zuvor über seinen Internetanschluss dem Film zuzuordnende Datenpakete über eine Internettauschbörse zum Herunterladen angeboten. Die auf Schadenersatz und Abmahnkosten gerichtete Klage war in der ersten Instanz abgewiesen worden und auch in der Berufung ohne Erfolg geblieben, da sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht ergeben hätte, dass über den Internetanschluss des Beklagten eine lauffähige Version des Films oder eines Teils davon zum Herunterladen angeboten worden sei. Dies sei für die Geltendmachung von urheber- und leistungsschutzrechtlichen Ansprüchen aber erforderlich, da eine nur teilweise zur Verfügung gestellte Datei regelmäßig nicht lauffähig und konsumierbar sei, weshalb es sich nicht um eine Nutzung des geschützten Werks oder seiner Teile handele, sondern lediglich um „Datenmüll“.
Nach Auffassung des BGH konnte eine Haftung des Beklagten im Streitfall nicht verneint werden, weil der Beklagte als Mittäter einer gemeinschaftlich mit den anderen Nutzern der Internettauschbörse begangenen Verletzung des Leistungsschutzrechts der Klägerin zur öffentlichen Zugänglichmachung des Films „Konferenz der Tiere 3 D“ oder urheberrechtsschutzfähiger Teile hiervon hafte. Die Frage, ob sich jemand als Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in einer seine zivilrechtliche Haftung begründenden Weise an einer deliktischen Handlung beteiligt hat, beurteile sich nach den im Strafrecht entwickelten Grundsätzen. Täter ist danach, wer die Zuwiderhandlung selbst oder in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft (vgl. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB) erfordert eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken.
Der objektive Tatbeitrag des einzelnen Teilnehmers an einer Internettauschbörse liege in der Bereitstellung von Dateifragmenten, die gemeinsam mit weiteren von anderen Teilnehmern der Tauschbörse bereitgestellten Dateifragmenten auf dem Computer des herunterladenden Nutzers zur Gesamtdatei zusammengefügt werden können. Das Filesharing über sogenannte Peer-to-Peer-Netzwerke (P2P Netzwerke) diene der Erlangung und Bereitstellung funktionsfähiger Dateien. Jeder Teilnehmer eröffne anderen Teilnehmern des Netzwerks die Möglichkeit, von ihm heruntergeladene Dateien oder Dateifragmente ihrerseits von seinem Computer herunterzuladen; der Download gehe also mit dem Angebot zum Upload einher. Typischerweise beziehe ein Teilnehmer, der eine Datei herunterlädt, Dateifragmente von vielen verschiedenen Teilnehmern. Jedes Dateifragment lasse sich anhand des sogenannten Hashwerts als zu einer bestimmten Gesamtdatei zugehörig identifizieren und habe eine Nummer, die seine Position in der Ursprungsdatei kennzeichne. Die zum Herunterladen bereitgestellten Dateifragmente seien somit kein „Datenmüll“, sondern individuell adressierte Datenpakete, die auf dem Computer des herunterladenden Nutzers zur Gesamtdatei zusammengefügt werden können. Aus der Funktionsweise des P2P Netzwerks als arbeitsteiliges System folge zugleich, dass den Tatbeiträgen der Teilnehmer eine kumulative Wirkung zukomme und die Gesamtheit der im Netzwerk verfügbaren Dateifragmente eine funktionsfähige Kopie der Ursprungsdatei ergebe. Mangels gegenteiliger Feststellungen sei zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass im zeitlichen Zusammenhang mit dem vom Internetanschluss des Beklagten vorgenommenen Angebot zum Herunterladen über die Tauschbörse eine vollständige Version des Films „Konferenz der Tiere 3 D“ oder eines urheberrechtsschutzfähigen Teils hiervon zum Herunterladen angeboten worden sei.
Das Bereitstellen von Dateien oder Dateifragmenten über ein P2P Netzwerk erfolge regelmäßig im Rahmen eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens der Teilnehmer. Dem stehe nicht entgegen, dass die Teilnehmer der Tauschbörsen anonym bleiben und nicht untereinander kommunizieren, denn Mittäterschaft kommt auch in Betracht, wenn die Beteiligten einander nicht kennen, sofern sich jeder bewusst ist, dass andere mitwirken und alle im bewussten und gewollten Zusammenwirken handeln. Die Funktionsweise von Internettauschbörsen sei deren Teilnehmern regelmäßig jedenfalls insofern geläufig, als sie sich im Klaren darüber sind, nicht nur Dateien oder Dateifragmente von den Computern anderer Teilnehmer auf ihren Computer herunterzuladen, sondern zugleich im Netzwerkverbund anderen Nutzern das Herunterladen von Dateien oder Dateifragmenten zu ermöglichen, um eine funktionsfähige Gesamtdatei zu erhalten. Auch wenn es an technischem Spezialwissen fehlt, sei den Teilnehmern einer Internettauschbörse regelmäßig bewusst, dass sie auf diese Weise im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit anderen Teilnehmern des Netzwerks das Herunterladen vollständiger und funktionsfähiger Dateien ermöglichen. Sie wirkten daher bei der öffentlichen Zugänglichmachung der Dateien mit den anderen Teilnehmern der Tauschbörse bewusst und gewollt zusammen. Dass es dem Teilnehmer einer Internettauschbörse in erster Linie darauf ankommen könne, selbst in den Genuss der heruntergeladenen Dateien zu gelangen, stehe der Annahme vorsätzlichen Zusammenwirkens mit den anderen Teilnehmern nicht entgegen. Wisse er, dass im Rahmen der arbeitsteiligen Funktionsweise der Tauschbörse die Bereitstellung der von ihm heruntergeladenen Dateien oder Dateifragmente im Netzwerk eine notwendige Begleiterscheinung des Herunterladens auf den eigenen Computer ist, so nehme er diese Folge seines Handelns mindestens billigend in Kauf. Dies reiche für die Annahme von Mittäterschaft aus
BGH, Urteil vom 06.12.2017 (Az. I ZR 186/16 – „Konferenz der Tiere“)
Anmerkung: Mit seiner Entscheidung hat der BGH einer auf technische Gründe basierten Rechtsverteidigung eine deutliche Absage erteilt, indem er die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Nutzer von Tauschbörsen als Mittäter an einer von mehreren gemeinschaftlich begangenen Urheberrechtsverletzung bejaht hat. Dieser rechtliche Ansatz ist nicht ganz neu und wurde vom BGH auch bereits in anderen Filesharing Fällen verfolgt. Interessant daran ist allerdings, dass der BGH davon ausgeht, dass inzwischen jedem bekannt sei, wie Filesharing prinzipiell funktioniere und der Nutzer der Tauschbörse dies deshalb auch gewusst haben müsste. Ob sich diese Annahme allgemein auf Filesharing Fälle übertragen lassen wird, erscheint in praktischer Hinsicht allerdings zweifelhaft, da man auch nach der Entscheidung des BGH nicht bei jedem Nutzer automatisch davon ausgehen können dürfte, dass er tatsächlich über entsprechende Kenntnisse über die Funktionsweise von P2P Netzwerken verfügt. Absehbar dürfte aber sein, dass sich damit die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zuungunsten von wegen urheberrechtswidrigen Filesharings in Anspruch genommenen Nutzern von P2P Netzwerken erhöhen werden.
BGH zur Darlegungslast des Anschlussinhabers bei Filesharing durch Familienangehörige
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einem Urteil erneut mit der Frage beschäftigt, ob der Inhaber eines Internetanschlusses für von Familienangehörigen im Wege des so genannten Filesharing begangene Urheberrechtsverletzungen haftet.
In der Entscheidung des BGH ging es um eine urheberrechtswidrige Vervielfältigung des Musikalbums „Loud“ von Rihanna im Wege des Filesharings.
Nach der Auffassung des BGH hatten die Beklagten im Streitfall ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt, weil sie den Namen desjenigen ihrer erwachsenen Kinder nicht angegeben haben, das ihnen gegenüber die Rechtsverletzung zugegeben hatte. Diese Angabe wäre den Beklagten auch unter Berücksichtigung der Grundrechtspositionen der Parteien zumutbar. Zugunsten der Klägerin wären das Recht auf geistiges Eigentum nach Artikel 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Artikel 14 Grundgesetz (GG) sowie auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Artikel 47 EU-Grundrechtecharta und auf Seiten der Beklagten der Schutz der Familie gemäß Artikel 7 EU-Grundrechtecharta und Artikel 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen und in ein angemessenes Gleichgewicht zu bringen.
Danach ist der Anschlussinhaber etwa nicht verpflichtet, die Internetnutzung seines Ehegatten zu dokumentieren und dessen Computer auf die Existenz von Filesharing-Software zu untersuchen. Hat der Anschlussinhaber jedoch im Rahmen der ihm obliegenden Nachforschungen den Namen des Familienmitglieds erfahren, das die Rechtsverletzung begangen hat, muss er dessen Namen offenbaren, wenn er eine eigene Verurteilung abwenden will.
BGH, Urteil vom 30.03.2017 (Az. I ZR 19/16 – „Loud“)
Anmerkung:
Die Entscheidung des BGH ist auf viel Kritik gestoßen, weil sie dahingehend aufgefasst wurde, dass der BGH von dem Anschlussinhaber verlangte, seine eigenen Kinder zu „verraten“, um sich seiner Inanspruchnahme als Inhaber des Internetanschlusses entziehen zu können, von der das urheberrechtswidrige Filesharing (unstreitig) stattgefunden hatte. Diese Kritik ist aber letztlich nicht berechtigt, denn der BGH hat dem Anschlussinhaber keine Verpflichtung zur Preisgabe des Namens des Kindes auferlegt, das die Urheberrechtsverletzung begangen hatte. Der BGH hat vielmehr ausdrücklich darauf verwiesen, dass Eltern keinem Zwang zur Auskunft unterliegen, sondern vielmehr die Wahl haben, ob sie die Auskunft erteilen oder ob sie davon absehen, das Kind anzugeben, das die Rechtsverletzung begangen hat, und insoweit auf eine Rechtsverteidigung zu verzichten. Vor dem Hintergrund, dass der Anschlussinhaber in der Vorinstanz sogar bekundet hatte, Kenntnis davon zu haben, wer die Urheberrechtsverletzung begangen hatte, ist das nicht zu beanstanden. Denn letztlich hat der BGH dabei nur die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze der sekundären Darlegungslast angewandt, nach denen es regelmäßig nicht ausreicht, zu bestreiten, eine Urheberrechtsverletzung nicht selber zu begangen zu haben. Der BGH verlangt also auch weiterhin von dem Inhaber eines Internetanschlusses, von dem Filesharing stattgefunden hat, denjenigen zu „verraten“, der das Filesharing vorgenommen hat.
OLG Hamburg zur rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs wegen Markenrechtsverletzung
Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG Hamburg) hat in einer Sache, in der es um einen Unterlassunsanspruch wegen einer Markenrechtsverletzung entschieden, dass von einer Gesellschaft, der ohne jede Lizenzahlungen eine Vielzahl von ausschließlichen Lizenzen an Marken einer mit ihr verbundenen Gesellschaft eingeräumt worden sind, die aber nach dem englischen Recht als sogenannte „dormant company“keine buchhalterisch zu erfassenden Transaktionen vornimmt, nicht angenommen werden kann, dass sie die von ihr verwalteten Marken im Rahmen eines stimmigen und seriösen Geschäftsmodells anbietet und sie so in geschützter Weise benutzt. In einem solchen Fall sei vielmehr davon auszugehen, dass die Gesellschaft die ihr eingeräumten Lizenzen in rechtsmissbräuchlicher Weise allein dazu nutzt, etwa durch Abmahnungen unangemessen auf Marktteilnehmer einzuwirken und so nur aufgrund wirtschaftlichen Drucks Schadensersatzforderungen oder andere wirtschaftliche Vorteile durchzusetzen.
Die Entscheidung erging in einem Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Bei der Antragstellerin handelte es sich um ein in Großbritannien in der Rechtsform einer Limited registriertes Unternehmen. Die Antragstellerin war Inhaberin des ausschließlichen Nutzungsrechts an der Unionsmarke „ATHLET“ als Lizenznehmerin einer Schweizer GmbH, die nach den Feststellungen die alleinige Rechteinhaberin an insgesamt 259 nationalen Schweizer beziehungsweise Unionsmarken war.
Streitgegenständlich war ein von der Antragstellerin geltend gemachter markenrechtlicher Unterlassungsanspruch auf Grundlage der Lizenzrechte an der Unionsmarke „ATHLET“. Die Antragstellerin hatte die Antragsgegner wegen eines angeblichen Verstoßes gegen ihre Markenrechte wegen deren Angeboten von Reifenfelgen unter den Bezeichnungen „ATHLETE WHEELS“ und „Athlete“ auf der Internetplattform Ebay erfolglos abgemahnt und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Das Landgericht Hamburg hatte zunächst eine einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegner erlassen, diese dann aber später nach mündlicher Verhandlung wieder aufgehoben (LG Hamburg, Az.: 416 HKO 111/16)
Nach den Feststellungen des OLG Hamburg hortete die Antragstellerin Markenlizenzen um daraus zu ihrem finanziellen Vorteil Ansprüche herzuleiten und erziele Einkünfte nur aus der Geltendmachung von Ansprüchen, die sie lediglich aus der Existenz von Markeneintragungen herleitete. Die ausschließlichen Markenlizenzen waren der Antragstellerin von der Rechteinhaberin ohne Entgelt überlassen worden, ohne dass erkennbar gewesen wäre, dass sie Grundlage einer weiteren, auf eine ernsthafte Benutzung der Marke gerichteten unternehmerischen Tätigkeit hätten sein können.
Auf Grundlage dieser Feststellungen entschied das OLG Hamburg, dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch die Antragstellerin rechtsmissbräuchlich war, weil die Antragstellerin ihre formale Rechtsstellung aus der ihr lizenzierten Unionsmarke „ATHLET“ in unlauterer Weise ausnutzte. Denn der allgemeine Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung gelte auch im Markenrecht und die Berufung auf eine nur formale Rechtsstellung als Inhaber bzw. als ausschließlicher Lizenznehmer eines Kennzeichenrechts widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben und sei daher rechtsmissbräuchlich.
OLG Hamburg, Urteil vom 22.06.2017 (Az. 3 U 223/16, „ATHLET“)
Anmerkung:
In seiner Entscheidung hat das OLG Hamburg betont und überzeugend begründet, dass die vom Bundesgerichtshof (BGH) entwickelten Kriterien zur Bösgläubigkeit von Markenanmeldungen im Wesentlichen den unionsrechtlichen Grundsätzen zur Bösgläubigkeit von Markenanmeldungen (EuG, Urteil vom 07.07.2016 (Az. T-82/14, „LUCEO“) entsprechen. Eine Besonderheit des Verfahrens vor dem OLG Hamburg war allerdings, dass die Antragstellerin nicht Markeninhaberin sondern lediglich Lizenznehmerin der Marke war. Die Entscheidung lässt daher nur begrenzte Rückschlüsse auf Fälle zu, in denen ein Markeninhaber selber Unterlassungsansprüche geltend macht.
Bewertungsportal jameda.de ist nicht neutral, BGH erlaubt Löschung von Arztprofil
Der BGH erlaubt Ärzten, die kein so genanntes (kostenpflichtiges) Premiumprofil bei jameda.de besitzen, unter bestimmten Bedingungen die Löschung ihres Profils vom Arztbewertungsportal, weil Jameda sich nicht neutral verhält.
BGH, Urteil vom 20.02.2018 (Az. VI ZR 30/17).
Die Parteien stritten um die Aufnahme der klagenden Ärztin in das Arztbewertungsportal der Beklagten, jameda GmbH. Nachdem die Vorinstanzen (LG Köln, Urteil vom 13.07.2016, Az. 28 O 7/16 und OLG Köln, Urteil vom 05.01.2017, Az. 15 U 198/15) die Klage der Ärztin zurückgewiesen hatten, musste sich der Bundesgerichtshof mit der Sache beschäftigen.
Worum ging es?
Die Beklagte betreibt unter der Internetadresse www.jameda.de ein Arztsuche- und Arztbewertungsportal, auf dem Informationen über Ärzte und Träger anderer Heilberufe kostenfrei von den Besuchern der Webseite abgerufen werden können. Als eigene Informationen der Beklagten werden die sogenannten „Basisdaten“ eines Arztes angeboten. Zu ihnen gehören in der Regel akademischer Grad, Name, Fachrichtung, Praxisanschrift, weitere Kontaktdaten sowie Sprechzeiten und ähnliche praxisbezogene Informationen. Daneben sind Bewertungen abrufbar, die Nutzer in Form eines Notenschemas, aber auch von Freitextkommentaren, abgegeben haben.
Die Beklagte bietet den Ärzten den kostenpflichtigen Abschluss von Verträgen an, bei denen ihr Profil – anders als das Basisprofil der nichtzahlenden Ärzte – mit einem Foto und zusätzlichen Informationen versehen wird. Des Weiteren werden beim Aufruf des Profils eines nichtzahlenden Arztes als „Anzeige“ gekennzeichnet die Profilbilder unmittelbarer Konkurrenten gleicher Fachrichtung im örtlichen Umfeld mit Entfernungsangaben und Noten eingeblendet. Demgegenüber blendet die Beklagte bei Ärzten, die sich bei ihr kostenpflichtig registriert und ein „Premium-Paket“ gebucht haben, keine Konkurrenten auf deren Profil ein, eine Werbung für Dritte unterbliebt also in diesem Fall.
Die Klägerin ist Hautärztin. Auf dem Portal der Beklagten wird sie als Nichtzahlerin gegen ihren Willen ohne Bild mit ihrem akademischen Grad, ihrem Namen, ihrer Fachrichtung und ihrer Praxisanschrift geführt. Bei Abruf ihres Profils auf dem Portal der Beklagten erscheinen unter der Rubrik „Hautärzte (Dermatologen) (mit Bild) in der Umgebung“ weitere (zahlende) Ärzte mit demselben Fachbereich und mit einer Praxis in der Umgebung der Praxis der Klägerin. Dargestellt wird neben der Note des jeweiligen anderen Arztes die jeweilige Distanz zwischen dessen Praxis und der Praxis der Klägerin. Die Klägerin erhielt in der Vergangenheit mehrfach Bewertungen. Sie beanstandete durch ihre Rechtsanwälte im Jahr 2015 insgesamt 17 abrufbare Bewertungen auf dem Portal der Beklagten. Nach deren Löschung stieg die Gesamtnote der Klägerin von 4,7 auf 1,5.
Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von der Beklagten die vollständige Löschung ihres Eintrags auf www.jameda.de, die Löschung ihrer auf der Internetseite www.jameda.de veröffentlichten Daten, auf Unterlassung der Veröffentlichung eines sie betreffenden Profils auf der genannten Internetseite.
Die Entscheidung des BGH:
Der BGH hat der Klage der Ärztin stattgegeben. Nach § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDSG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Dies war vorliegend der Fall. Der Senat hat mit Urteil vom 23. September 2014 – VI ZR 358/13 für das von der Beklagten betriebene Bewertungsportal bereits im Grundsatz entschieden, dass eine Speicherung der personenbezogenen Daten mit eine Bewertung der Ärzte durch Patienten zulässig ist (Jameda: Arzt muss Bewertungen grundsätzlich dulden).
Der vorliegende Fall unterscheidet sich vom damaligen in einem entscheidenden Punkt. Mit der vorbeschriebenen, mit dem Bewertungsportal verbundenen Praxis verlässt die Beklagte ihre Stellung als „neutraler“ Informationsvermittler. Während sie bei den nichtzahlenden Ärzten dem ein Arztprofil aufsuchenden Internetnutzer die „Basisdaten“ nebst Bewertung des betreffenden Arztes anzeigt und ihm mittels des eingeblendeten Querbalkens „Anzeige“ Informationen zu örtlich konkurrierenden Ärzten bietet, lässt die jameda GmbH auf dem Profil ihres „Premium“-Kunden – ohne dies dort dem Internetnutzer hinreichend offenzulegen und kenntlich zu machen – solche über die örtliche Konkurrenz unterrichtenden werbenden Hinweise nicht zu. Nimmt sich die Beklagte aber in dieser Weise zugunsten ihres Werbeangebots in ihrer Rolle als „neutraler“ Informationsvermittler zurück, dann kann sie ihre auf das Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 10 EMRK) gestützte Rechtsposition gegenüber dem Recht der Klägerin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten (Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) auch nur mit geringerem Gewicht geltend machen. Das führt hier zu einem Überwiegen der Grundrechtsposition der Klägerin, so dass ihr ein „schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Speicherung“ ihrer Daten (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG) zuzubilligen ist, so dass damit Jameda seinerseits kein schutzwürdiges Interesse mehr an der Nutzung der Daten der Ärztin zuzubilligen ist.
Anmerkung:
Das Urteil ist ein Meilenstein für viele Ärzte. Denn so mancher Arzt möchte überhaupt nicht auf Portalen wie Jameda und anderen aufgeführt werden. In vielen Fällen können Ärzte nun die vollständige Löschung ihrer Daten und ihres Profils verlangen, wenn das Portal nicht als neutraler Informationsvermittler agiert, sondern die Daten des Arztes (auch) für werblich-kommerzielle Zwecke nutzt.
Für den Verbraucher dürfte das Urteil ebenfalls positive Auswirkungen haben. Jameda etc. werden jetzt umfangreiche Änderungen (auch am Geschäftsmodell) vornehmen müssen, um ein tatsächlich neutraler Informationsvermittler zu sein. Kommerzielle und werbliche Angebote dürften voraussichtlich in naher Zukunft streng und für den Verbraucher leicht erkennbar von dem reinen Informationsangebot zu trennen sein. Für Jameda und andere Arztportale könnte das Urteil zur Folge, dass zukünftig weitere Ärzte Löschungsanträge stellen werden. Zudem werden solche Bewertungsportale ihr strukturelles Angebot ihrer Internetseiten grundlegend ändern müssen, wenn sie wieder die Privilegien eines neutralen Informationsvermittlers für sich in Anspruch nehmen wollen.
Das Urteil dürfte aber auch auf Bewertungsportale für andere Branchen (Hotels, Restaurants, Rechtsanwälte) Einfluss haben. Die Tendenz ist klar erkennbar. Nur wer neutral Informationen anbietet und nicht zwischen zahlenden und nicht-zahlenden Mitgliedern unterscheidet, unterliegt der Meinungs- und Medienfreiheit.